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Samstag, 25. Dezember 2010

Der nächtliche Gast

Ein kleines Reh am Waldrand steht
alsbald zum stillen Friedhof geht
um seelenruhig aus den Vasen
nach Herzenswonne abzugrasen.

Aus Tannenzweigen, irdnen Töpfchen
lacht ihm gar manches Rosenköpfchen.
Das Reh, es wähnt sich ungestört
vom süssen Blumenduft betört.

Nur hier und dort ein Grablicht wacht
still vor sich hin um Mitternacht.
"Ein Mensch hat' s wohl hierher gestellt
auf dass es mir den Weg erhellt."

Denkt sich das Tier und lässt' s sich schmecken,
der Wind streicht sachte um die Hecken.
Kein Rabe fliegt von Baum zu Baum -
die Seele ruht im Wintertraum.

Frümorgens ich zum Grab hin geh,
wo ich nach meiner Rose seh -
der Schnee von gestern ist zerronnen
das Tierchen hat sein Spiel gewonnen.

Nur noch der Stängel liegt vor mir -
als spräch das Reh: "Ich danke dir."

Miriam